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DER ZEIT-SPARER

Betriebswirtschaftler und Schachspieler, so sagt man, hätten bei jeder Transaktion die Frage im Kopf: „Was bringt’s?“, egal ob es sich um eine Investition oder um eine Beziehung handle. So im Stil: „Heute war ich den ganzen Tag nett zu meiner Frau – jetzt erwarte ich heute Nacht aber doch eine gewisse Gegenleistung …“

Ich bin solch ein Exemplar. Betriebswirtschaftler, meine ich. Und Schachspieler. Kein Beziehungs-Rechner. Allerdings war ich bis vor wenigen Jahren ein extremer Zeit-Rechner. Ja, ich war sicher Deutschlands bester Zeit-Rechner und Zeit-Sparer. Bei allem kalkulierte ich die Minuten und teilweise gar die Sekunden, die ich sparen konnte. Auf der Autobahn bin ich gerast, um die wertvollen Minuten zu sammeln. Kam ich mit dem Zug, so nahm ich mir ein Taxi nach Hause, um mir die 17 Minuten längere Fahrtzeit mit dem Bus zu er-sparen. 12 Euro für 17 Minuten. Beim Abspülen hatte ich mir Techniken ausgedacht, um mehrere Löffel oder Gabeln gleichzeitig spülen zu können. Während mein Rechner die Internetseite aufbaute, schrieb ich zeitgleich weiter an einem Text. Im Supermarkt machte ich Kassenhopping, um ja schnellstmöglichst abkassiert zu werden. Bei langsam sprechenden Menschen verlor ich ständig die Geduld und versuchte, ihnen die scheinbar fehlenden Worte in den Mund zu legen.

Da kamen einige Minuten täglich zusammen. Auf den Monat gerechnet sicher ein paar Stunden. Schließlich, so meine Wahrnehmung damals, ändert sich die Welt immer schneller. Ob an der Börse, an der man selbst als Privatanleger „realtime“ agieren kann oder bei Ebay, wo es gilt, im richtigen Moment zuzuschlagen. Immer geringer werden unsere zeitlichen Spielräume, immer schneller dreht sich das Rad. Das perfekte Timing wird zum entscheidenden Faktor. Nicht wahr? Geht es nicht jedem ein bisschen so?

Doch was ist der richtige Umgang mit unserer Lebenszeit?
Klar, wer es sich leisten kann, der betreibt „Outsourcing“. Unternehmensberater nennen das gern „Konzentration auf die Kernkompetenz“. Im persönlichen Bereich kann man sagen: „Konzentration auf das Wesentliche“; das entspricht letztendlich dem Kaufen von Zeit. Man kauft sich die Zeit von Tagesmüttern, Steuerberatern, Haushaltshilfen, Gärtnern, Therapeuten („rent a friend“) usw.. Ständig versuchen wir, unseren persönlichen Zeiteinsatz zu optimieren. Ein Indiz für diese These ist auch, dass wir heute im Durchschnitt eine halbe Stunde weniger schlafen als noch vor 20 Jahren.

Doch erreichen wir durch dieses extreme “Zeit sparen” oft genau das Gegenteil von dem, was wir bewirken wollten. Wer unausgeschlafen ist, verliert an Lebensqualität. Eine Tagesmutter verbessert nicht unbedingt den Kontakt zwischen Mutter und Kind. Ein Gärtner serviert einem den perfekten Garten ohne den natürlichen Prozess des eigenen Handanlegens. Wer – so eine recht neue, amerikanische Studie – seinen Bericht am PC schreibt und zwischendurch immer wieder E-Mails beantwortet, benötigt rund 50 Prozent länger, als wenn er beides nacheinander erledigen würde. Denn, wer nur für drei Minuten abgelenkt wird, braucht jedes Mal zwei Minuten, um sich wieder zu konzentrieren. Und wir lassen uns oft gerne ablenken.

Für mich – der ich mich als längst geläuterter Zeit-Sparer bezeichnen darf – bedeutet das zweierlei:
Erstens: Konzentriere dich auf den Augenblick. Egal, ob du Kohlen schippst, mit einem Kind sprichst oder den Geschäftsbericht verfasst: Sei im Hier und Jetzt. Das ist das Leben. Das entspricht der Lebensqualität.

Zweitens: Gesparte Zeit ist oft nur scheinbar gesparte Zeit. Wir richten uns hier nach der europäischen Zeitdefinition, der “Chronos-Zeit”. Dabei verläuft die Zeit chronologisch. Jede Sekunde ist genauso viel wert wie die nächste. Doch vielleicht sollten wir uns mehr an dem griechischen Begriff der sogenannten “Kairos-Zeit” orientieren. Das ist die Bezeichnung für „die günstige Zeit“. Dabei geht es um die inhaltliche Qualität der Zeit. Intensiv empfundene Zeit ist wertvolle Zeit – fühlt sich viel klarer, viel konzentrierter an.

Und wenn ich mich als Betriebswirtschaftler nochmals einbringe: Was bringt es, wenn ich 20 Minuten durch Raserei auf der Autobahn reinhole, und danach 30 Minuten brauche, um mich zu erholen? Oder im Taxi 17 Minuten spare und mich zuhause vor den Fernseher setze?

Einen netten Abschluss dazu hat mir einmal ein Unternehmensberater geliefert. Wir saßen abends mit einigen Kollegen an der Bar. Tagsüber hatte er über Zeitmanagement referiert und erklärt, wo und wie man überall Zeit sparen könne. Abends war er dann doch etwas gelöster und erzählte in lockerer Runde, dass dieses “Zeit sparen” eine richtige Marotte von ihm sei. Auch zuhause könne er nicht davon lassen – der Kerl muss Betriebswirtschaft studiert haben! Er erzählte dann, wie er einmal seiner Frau helfen wollte, Zeit zu sparen. Sie machte das Frühstück für ihn und die beiden Kinder. Er stand daneben mit der Stoppuhr, nahm sekundengenaue Zeitmessungen vor und machte sich entsprechende Notizen. Abends kam er mit den Auswertungen zu seiner Frau und erklärte ihr, dass sie, bei richtiger Vorgehensweise, jeden Morgen 13 Minuten sparen könne.

„Und?“, fragte ein Teilnehmer, „wie sieht’s heute aus?“

„Heute“, so der Unternehmensberater, „muss ich das Frühstück machen!“